Urteil des BGH II ZR 199/17 – Existenzvernichtender Eingriff bei Verschmelzung
Der Bundesgerichtshof hat in einer neueren Entscheidung vom 6. November 2018, II ZR 199/17, einerseits die Grundsätze seiner bisherigen Rechtsprechung zum existenzvernichtenden Eingriff bestätigt und zum anderen bislang nicht höchstrichterlich geklärte Rechtsfragen näher erörtert. Besondere Aufmerksamkeit verdienen dabei die Ausführungen zu den Voraussetzungen an § 826 BGB bei einem existenzvernichtenden Eingriff.
Der Fall:
Eine bereits überschuldete GmbH wurde auf eine andere GmbH verschmolzen, wobei letztere ebenfalls kurz darauf insolvent wurde. Die Gesellschafter der aufnehmenden Gesellschaft wurden nun von dem Insolvenzverwalter auf Zahlung in Anspruch genommen. Die Forderung wurde mit einer Differenzhaftung im Rahmen einer Sachkapitalerhöhung nach § 55 UmwG i.V.m. § 56 Abs. 2, § 9 Abs. 1 GmbHG begründet, aber auch mit einem Haftungsanspruch aufgrund eines existenzvernichtenden Eingriffs. Erstinstanzlich sowie durch das Berufungsgericht sind die Forderungen vollumfänglich abgewiesen worden. Die Revision hatte jedoch im Hinblick auf die letztgenannte Begründung Erfolg.
Die Problematik:
Die bislang vom BGH ausdrücklich offen gelassene, vgl. Urteil vom 12. März 2007, II ZR 302/05, und in der Literatur umstrittene Frage, ob eine Differenzhaftung bei der Verschmelzung unter Beteiligung von Gesellschaften mit beschränkter Haftung gegen Kapitalerhöhung gemäß § 55 UmwG bei dem übernehmenden Rechtsträger in Betracht kommt, hat der Bundesgerichtshof nunmehr verneint. Der Leitsatz hierzu lautet:
„Die Gesellschafter der beteiligten Rechtsträger trifft bei der Verschmelzung von Gesellschaften mit beschränkter Haftung im Wege der Aufnahme mit Kapitalerhöhung beim übernehmenden Rechtsträger im Fall der Überbewertung des Vermögens des übertragenden Rechtsträgers keine Differenzhaftung.“
Demgegenüber hat der Bundesgerichtshof eine Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs in einer solchen Konstellation als grundsätzlich möglich bejaht. Nach den Ausführungen des Gerichts kann ein existenzvernichtender Eingriff dann vorliegen, wenn „das Prinzip der Vermögenstrennung und die Bindung des Vermögens der Schuldnerin zur vorrangigen Befriedigung ihrer Gläubiger“ … „missachtet“ wird. Eine diesbezügliche Gefahr sieht der Bundesgerichtshof insbesondere dann, wenn im Rahmen der Verschmelzung Verbindlichkeiten einer insolvenzreifen Gesellschaft auf eine andere übertragen werden. In dem diesbezüglichen Leitsatz des BGH heißt es:
„Ein existenzvernichtender Eingriff kann darin liegen, dass die Verschmelzung eines insolvenzreifen übertragenden Rechtsträgers als Gestaltungsmittel für dessen liquidationslose Abwicklung eingesetzt und hierdurch die Insolvenz des übernehmenden Rechtsträgers herbeiführt oder vertieft wird.“
In dem Urteil werden die bisherigen Grundsätze der Rechtsprechung zum existenzvernichtenden Eingriff bestätigt, vgl. BGH, Urteil vom 16. Juli 2007, II ZR 3/04, „Trihotel“; Urteil vom 28. April 2008, II ZR 264/06, „Gamma“; Urteil vom 9.Februar 2009, II ZR 292/07, „Sanitary“.
Neu ist, dass der Bundesgerichtshof die Übertragung von Verbindlichkeiten im Rahmen der Verschmelzung einer insolvenzreifen GmbH auf eine andere Gesellschaft ausdrücklich als Umgehung des gesetzlich vorgesehenen Liquidationsverfahrens qualifiziert und daher ggf. als existenzvernichtenden Eingriff wertet. Zugleich sieht der BGH auch aus der Perspektive des übernehmenden Rechtsträgers den Grundsatz der Vermögenstrennung durchbrochen, wenn die liquidationslose Abwicklung der insolventen Gesellschaft zu Lasten des Vermögens der des übernehmenden Rechtsträgers geht, vgl. Rn. 44 des Urteils.
Schließlich hat der BGH in Anlehnung an die herrschende Auffassung in der Literatur festgestellt, dass der Vorteil, den Gesellschafter durch ein solches Vorgehen erlangen, weder der Art noch der Höhe nach demjenigen Nachteil entsprechen muss, den die Gesellschaft dadurch erleidet. Folglich ist es für die Annahme eines existenzvernichtenden Eingriffs nicht erforderlich, dass der entsprechende Akteur einen unmittelbaren monetären Vorteil erhält, sondern es reicht aus, dass dieser sich durch die Verschmelzung einem gesetzlich vorgesehenen Liquidationsverfahren entzieht.
Fazit:
Das Urteil kann für Verschmelzungen von Unternehmen jeder Rechtsform Relevanz entfalten. Es kann auch für grenzüberschreitende Verschmelzungen von Bedeutung sein, bei denen die möglichen Nachteile für Gläubiger im Falle einer liquidationslosen Auflösung erst Recht auf der Hand liegen. Betroffene Gläubiger können neben dem Anspruch auf Sicherheitsleistung gemäß § 22 UmwG gegen den übernehmenden Rechtsträger auch Schadensersatzansprüche gegen die verantwortlichen Akteure gemäß § 826 BGB geltend machen.