Widerruf – BGH verhandelt am 23. Juni 2015 in der Sache XI ZR 154/14

Der Bundesgerichtshof verhandelt laut Pressemitteilung vom 5. Mai 2015 am 23. Juni 2015 über einen Fall des Darlehenswiderrufs.

In der zu entscheidenden Fallkonstellation geht es u.a. um die umstrittene Rechtsfrage, ob ein Widerruf auch längere Zeit nach Ablösung des Darlehens noch wirksam möglich ist, oder ob dann ggf. Verwirkung eingetreten ist. Dem zur Verhandlung anstehenden Verfahren liegt ein Sachverhalt mit folgender Besonderheit zugrunde:

Die Kläger übernahmen im März 2007 mit Übernahmeverträgen zwei Darlehensverträge. Bereits im Dezember 2008 lösten sie die Darlehensverträge ab. Im Dezember 2011 wurde der Widerruf der Darlehensverträge erklärt.

In seiner bisherigen Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof bei Darlehenswiderrufen, die bereits viele Jahre nach Abschluss des Darlehensvertrags erklärt wurden, keine Verwirkung angenommen, vgl. etwa die Urteil vom 10. März 2009, XI ZR 33/08 und vom 24. März 2009, XI ZR 456/07. In den bisher entschiedenen Fallkonstellationen war der jeweilige Darlehensvertrag allerdings zum Zeitpunkt des Widerrufs noch nicht abgelöst worden.

Die Rechtsfrage, ob ggf. bei einem Widerruf, der längere Zeit nach der Ablösung eines Darlehens erfolgt, Verwirkung eintreten kann, ist zwischen den Oberlandesgerichten umstritten. Diese divergierende obergerichtliche Entscheidungspraxis dürfte der Anlass für die Zulassung der Revision durch das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg sein.

Grundsätzlich unterliegt das Widerrufsrecht im Falle einer fehlerhaften Widerrufsbelehrung keiner zeitlichen Beschränkung. Für eine Verwirkung fehlt bei bloßem Zeitablauf – mangels Umstandsmoments – eine wesentliche Voraussetzung. Die bisher herrschende Rechtsprechung wird auch vom Europäischen Gerichtshof in der zum Versicherungsrecht ergangenen Entscheidung vom 19. Dezember 2013, Nr. C-209/12 bestätigt, welche ausdrücklich an das Urteil Heininger anknüpft. Dort heißt es u.a. wörtlich, vgl. Rn. 26, 27:

„Es ist daher festzustellen, dass eine nationale Bestimmung wie die im Ausgangsverfahren fragliche, wonach das Recht des Versicherungsnehmers, von dem Vertrag zurückzutreten, zu einem Zeitpunkt erlischt, zu dem er über dieses Recht nicht belehrt war, der Verwirklichung eines grundlegenden Ziels der Zweiten und der Dritten Richtlinie Lebensversicherung und damit deren praktischer Wirksamkeit zuwiderläuft.

Diese Schlussfolgerung wird nicht durch das u. a. von der Allianz vorgetragene Argument entkräftet, wonach der Grundsatz der Rechtssicherheit eine Bestimmung wie die im Ausgangsverfahren fragliche gebieten könne. Der Gerichtshof hat nämlich insoweit bereits entschieden, dass ein Verbraucher das Widerrufsrecht nicht ausüben könne, wenn es ihm nicht bekannt sei, und dass daher aus Gründen der Rechtssicherheit eine Beschränkung des Zeitraums, in dem das Widerrufsrecht nach der Richtlinie 85/577 ausgeübt werden könne, nicht gerechtfertigt sein könne, weil dies eine Einschränkung der Rechte impliziere, die dem Verbraucher ausdrücklich verliehen worden seien, um ihn vor den Gefahren zu schützen, die sich daraus ergeben, dass Kreditinstitute bewusst Verträge außerhalb ihrer Geschäftsräume abschlössen (Urteil vom 13. Dezember 2001, Heininger, C‑481/99, Slg. 2001, I‑9945, Randnrn. 45 und 47).“

Aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs folgt nach Auffassung von Rechtsanwalt Dethloff, dass für eine Verwirkung im Falle des Widerrufs jedenfalls bei einem nicht abgelösten Darlehensvertrag kein Raum besteht. Wie der Bundesgerichtshof in dem nunmehr zu verhandelnden Fall eines Widerrufs nach Ablösung des Darlehens entscheiden wird, bleibt abzuwarten.